Verändertes Berufsprofil durch novellierte Ausbildungsordnung und neue Lehrplanrichtlinien
Der Großhandel versteht sich traditionell als Bindeglied zwischen dem Hersteller und dem Wiederverkäufer, etwa dem Einzelhandel oder dem Handwerk. Rasante Fortschritte
in der digitalen Kommunikations- und Informationstechnik führen dazu, dass sich auch die Geschäftsprozesse im Handel zunehmend in digitaler Form abbilden lassen und
E-Business unternehmensübergreifend an Bedeutung gewinnt. Electronic Commerce im Handel und die Plattformökonomie versprechen Chancen für neue Geschäftsmodelle, etwa
dem Multi-Channel-Marketing, erzeugen aber auch Probleme der Disintermediation. Das heißt, dass auch der klassische Großhandel seine Wertschöpfungskette überdenken
und die „Fäden“ neu verknüpfen muss.
Diesen veränderten Rahmenbedingungen hat nun auch die novellierte Ausbildungsordnung vom März 2020 Rechnung getragen, wobei fachlich das Berufsprofil geschärft wird und
überfachlich Elemente der Prozessorientierung, des Projektmanagements und der Handlungskompetenz einfließen. Davon bleiben auch unsere schulischen Lernfelder nicht
unberührt, wie zum Beispiel das Lernfeld 9 „Geschäftsprozesse mit digitalen Werkzeugen bearbeiten“ oder das Lernfeld 13 „Berufsbezogene Projektarbeit“.
Der Gedanke der Prozessorientierung prägt auch die Organisation der Lernfelder und der Ausbildungsordnung. Während in den ersten eineinhalb Jahren die Präsentation des
eigenen Unternehmens und die Organisation des Warensortiments eine Rolle spielt, rückt im nachfolgenden Ausbildungsabschnitt eher die komplexere Organisation und
Steuerung von Geschäftsprozessen im Groß- und Außenhandel ins Blickfeld. Die Vorschriften des Arbeits- und Sozialrechts sowie der Einsatz der Kommunikationstechnik
werden dabei über die ganze Ausbildungszeit hinweg integrativ vermittelt.
Was die Evaluation, die Abschlussprüfung der IHK betrifft, so ist zu bemerken, dass es wohl noch eine einzige (!) Abschlussprüfung gibt, diese wird jedoch in zwei
Teile zerlegt (sog. gestreckte Abschlussprüfung), wobei Teil 1 nach ca. 18 Monaten, Teil 2 am Ende der Ausbildung zu absolvieren ist. Das bereits erwähnte
Prüfungsgebiet „Organisation des Warensortiments“ fließt im Teil 1 zu 25 % Gewichtung in das Gesamtergebnis ein, es folgen im Teil 2 die „Organisation von
Geschäftsprozessen“, „Kaufmännische Steuerung und Kontrolle“, „WISO“ sowie das fallbezogene Fachgespräch. Bei Letzterem hat der Prüfling nun auch die Wahl,
vorher Reports verfassen, die spezifische Problemstellungen im Großhandel erörtern. Eine Zwischenprüfung wird es nicht mehr geben.
Wenn wir diese Anforderungen der Ordnungsmaterialien umsetzen, stellt uns das als Lehrkräfte auch vor Herausforderungen, nicht nur bei der Unterrichtsorganisation,
d. h. der Revision der didaktischen Jahrespläne, um mit geeigneten Lehr- / Lernarrangements handlungs- und prozessorientiert Lerninhalte umsetzen. Es kommt auch
hinzu, dass wir geeignete (!) digitale Werkzeuge finden und einsetzen, mit denen sich Arbeitsvollzüge und Themenfelder im Großhandel exemplarisch abbilden lassen,
sowohl methodisch-didaktisch als auch fachlich-performativ.
Im ersten Fall wären zum Beispiel („kostenlose“) Visualisierungstool für Geschäftsprozesse (Übersicht z. B. auf www.capterra.com) oder Kollaborationssoftware für
Projektarbeit (Microsoft MS Teams bzw. www.mebis.bayern.de) zu nennen. Ergänzend dazu empfiehlt sich nun verstärkt der Einsatz von ERP-Software im Unterricht, sei
es nun in Form der schon seit Längerem an Berufsschulen eingeführten Standardsoftware Microsoft Dynamics (Navision), der ERP-Software von SAP oder - ganz schlicht -
didaktisch reduzierter Warenwirtschaftssysteme von Lehrmittelverlagen, mittels derer sich Arbeitsaufträge transparent und effizient umsetzen lassen.
Letztendlich könnte uns die digitale Technik (VR-Brillen und 360-Grad-Videos) auch die Möglichkeit erlauben, didaktische Führungen aus der Teilnehmerperspektive
durch ein Lager oder anderer Abteilungen eines Großhandelsbetriebes zu organisieren und den virtuell navigierten Rundgang mit Kommentaren und Wissensfragen zu
verbinden. Ich bin gespannt auf die Entwicklung von für Schulen geeignete Autorensysteme, um solche Lernumgebungen („immersed learning“) selbst und maßgeschneidert
zu erstellen.
Zusammenfassend lässt sich im Einklang mit dem DIHK sagen, dass mit den veränderten Ordnungsmaterialien die Attraktivität des Berufsbildes gesteigert wird und das
neue Berufsbild einer modernen Kauffrau / eines modernen Kaufmanns gezeichnet wurde, die oder der Einkaufs-, Logistik- und Verkaufsprozesse plant, überwacht und
optimiert, den Daten- und Warenfluss über Wirtschaftsstufen hinweg steuert und elektronische Geschäftsprozesse unter Beachtung von Datenschutz und Datensicherheit
abwickelt.
Michael Hauck
Fachbetreuung WuV I (Handel) |